Modular denken, Komplexität beherrschen – in 4 Schritten zum Produktbaukasten

Luzian Biebersdorf
28. Juli 2025

Wie Unternehmen mit vier klaren Schritten modulare Produktbaukästen aufbauen – und dabei Komplexität, Kosten und Entwicklungszeit reduzieren.

Viele Bausteine, ein System: Ein modularer Produktbaukasten schafft Struktur in der Variantenvielfalt.
Viele Bausteine, ein System: Ein modularer Produktbaukasten schafft Struktur in der Variantenvielfalt.

Wachsende Variantenvielfalt bringt Unternehmen zunehmend unter Druck. Individuelle Kundenwünsche treffen auf komplexe Strukturen, lange Entwicklungszeiten und steigende Stückzahlen im Teilemanagement. Ein modularer Produktbaukasten bietet einen strukturierten Weg aus dieser Komplexitätsfalle: Er reduziert die interne Vielfalt, ermöglicht eine hohe Konfigurierbarkeit und senkt dabei Kosten sowie Entwicklungsaufwand spürbar. Entscheidend ist die richtige Herangehensweise. In diesem Artikel zeigen wir die vier zentralen Schritte, mit denen Unternehmen die Grundlagen für einen funktionierenden Baukasten schaffen – und damit die Basis für effiziente, skalierbare Produktentwicklung legen.

Um einen Produktbaukasten aufzubauen, der den Kundennutzen gezielt steigert und gleichzeitig die interne Komplexität beherrschbar macht, braucht es eine strukturierte Vorbereitung. Diese Vorarbeit gliedert sich in vier zentrale Schritte, die den Grundstein für ein funktionierendes Baukastensystem legen: die Marktanalyse, die Produkt (und Prozessanalyse), die Definition von Standards und von Konfigurationsregeln.

Schritt 1: Marktanalyse

Die Anforderungen des Marktes und der Kunden sind vielfältig.  Wer verschiedene Marktsegmente bedienen möchte – sei es in anderen Ländern oder Branchen –, steht vor der Herausforderung, produktspezifische, aber auch regionale und marktspezifische Anforderungen (Gesetze, Normen, äußere Einflüsse...) individuell zu erfüllen. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, ist es zunächst notwendig, ein grundlegendes Verständnis dafür zu entwickeln. Zu Beginn geht es also darum, die externe Komplexität sichtbar zu machen und zu verstehen. Die Grundlage dafür bildet eine faktenbasierte Marktanalyse, in der die Anforderungen von Kunden und Märkten systematisch erfasst und ausgewertet werden. 

Ein zentraler Schritt bei der Entwicklung modularer Produktstrukturen ist das Verständnis dafür, was Kundinnen und Kunden tatsächlich als relevant für ihre Kaufentscheidung einstufen. Dabei geht es nicht um technische Details allein, sondern um die wahrgenommene Funktionalität, Qualität, Verfügbarkeit oder Individualisierbarkeit – je nach Zielgruppe und Marktsegment. 

Im Rahmen einer strategischen Erfolgsfaktorenanalyse wird systematisch untersucht, welche Produkteigenschaften aus Sicht des Kunden den größten Einfluss auf die Kaufentscheidung haben – und welchen Beitrag sie letztlich zur Profitabilität leisten. Die zentrale Frage lautet: Welche Merkmale meines Produktes, so wie sie vom Kunden wahrgenommen werden, beeinflussen den Deckungsbeitrag positiv oder negativ? Diese Erkenntnisse helfen dabei, den Baukasten gezielt auf die wirklich entscheidenden Merkmale auszurichten und dort zu standardisieren, wo es aus Kundensicht keinen Mehrwert durch Individualisierung gibt. 

Stets entscheidend bei der Marktanalyse ist eine faktenbasierte Herangehensweise. Die Grundlage liefern konkrete Informationen aus dem Vertrieb, fundierte Kundenbefragungen und reale Anwendungsfälle – nicht Vermutungen oder Bauchgefühl. 

Schritt 2: Produkt- (& Prozess-)analyse

Der zweite Schritt auf dem Weg zum Produktbaukasten ist die Produktanalyse. Sie beschreibt die interne Komplexität und bietet erste Ansätze zur Modularisierung. Hierfür stehen mehrere Methoden und Werkzeuge zur Verfügung. 
 
Um den IST-Zustand zu protokollieren ist es zunächst sinnvoll, die Funktionsstruktur abzubilden. Hierfür wird unterschieden zwischen Funktionen, die Kundenanforderungen abdecken sowie technisch nötigen Funktionen. In einem zweiten Schritt wird die Produktstruktur erfasst. Dabei werden alle Produkte und Komponenten aufgeführt, die die geforderten Funktionen heute erfüllen.  
 
Aus den gesammelten Daten lässt sich dann eine generischen Produktstruktur ableiten. Diese umfasst zentrale Elemente, die in jeder Maschine enthalten sind – wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. Es handelt sich dabei um übergeordnete Kategorien, die als Sammelbegriff für die jeweiligen Schlüsselelemente dienen. Auf diese Weise entsteht ein erster Ansatz für die Soll-Struktur und damit der Startpunkt für die angestrebte Modularisierung. 
 
Zuletzt erfolgt eine Variantenanalyse auf Basis eines Variantenbaums, also eine detaillierte Darstellung aller Montagestufen und -reihenfolgen, die Abbildung des Prozesses und die die Darstellung aller Zusammenbauvarianten. Ziel ist es, ein Gesamtbild der Varianzentstehung zu erzeugen und mögliche Potenziale für eine verzögerte bzw. spätere Variantenentstehung zu identifizieren. 

Schritt 3: Standarddefinition

Im dritten Schritt geht es darum, klare Standards zu definieren und gleichzeitig gezielt Flexibilität auf Produkt- und Prozessebene zu identifizieren. Auf dieser Basis werden Produktmodule geplant, die sich an die unterschiedlichen Variabilitätswünsche der Kunden anpassen lassen – überall dort, wo dies technisch umsetzbar und wirtschaftlich sinnvoll ist. 

Mit dem gesammelten Wissen aus den beiden vorherigen Schritten lässt sich eine Aussage darüber treffen, wo das Unternehmen im Vergleich zu den Kundenanforderungen steht. Wenn der Kunde hohe Anforderungen an die Variantenvielfalt stellt, ergibt sich die zentrale Frage: Ist das Produkt flexibel und modular genug aufgebaut, um diese Vielfalt auch wirtschaftlich abbilden zu können? Auf dieser Grundlage lassen sich fundierte Entscheidungen treffen: Fordert der Kunde keine große Variantenvielfalt, das Produkt wird aber aktuell in zahlreichen Ausprägungen angeboten, deutet das auf ein unnötig komplexes Portfolio hin. In diesem Fall empfiehlt sich eine Standardisierung, um Entwicklungs-, Produktions- und Serviceaufwand zu reduzieren. Umgekehrt gilt: Werden vielfältige Optionen nachgefragt, das Produkt ist jedoch bislang nicht darauf ausgelegt, sollte die Modularisierung mit Blick auf technische Machbarkeit und wirtschaftliche Sinnhaftigkeit gezielt weiterentwickelt werden 

Zu den weiteren Methoden zur Standarddefinition gehört die Anfertigung einer Kommunalitätsmatrix. Sie zeigt auf, welche Module in mehreren Produkten identisch oder ähnlich sind und macht dadurch Wiederverwendungspotenziale sichtbar. 

Anschließend werden die Baukästen definiert – also die Module thematisch und funktional zugeordnet, strukturiert und in einer übergeordneten Systematik zusammengeführt. Ziel ist es, eine modulare Produktarchitektur zu schaffen, die Wiederverwendung ermöglicht und Varianten gezielt abbildet. Darauf aufbauend können für jedes definierte Modul sogenannte Modulsteckbriefe erstellt werden. Diese dokumentieren zentrale Informationen wie Funktionen, technische Schnittstellen und Verantwortlichkeiten. So entsteht eine verlässliche Grundlage für die Pflege, Weiterentwicklung und effiziente Nutzung von Baukästen innerhalb des Unternehmens.  
 
Um die definierte Modulstruktur in der Praxis umsetzen zu können, müssen standardisierte Schnittstellen geschaffen werden. Sie ermöglichen es, Module unabhängig voneinander zu entwickeln, flexibel zu kombinieren und produktübergreifend einzusetzen. Erst durch diese technischen Standards wird die Modularisierung im Unternehmen wirklich handhabbar und skalierbar. 

Neben der technischen Modularisierung ist auch eine prozessuale Anpassung erforderlich. Variantenunabhängige Schritte im Produktionsprozess sollten bewusst vorgezogen werden, während variantenbildende Schritte so spät wie möglich erfolgen. Dieser „Late-Variantion“-Ansatz erhöht die Effizienz, reduziert Komplexität und schafft die Grundlage für eine wirtschaftliche Umsetzung – auch über Fertigungslinien und Werke hinweg. 

Schritt 4: Konfigurationsregeln definieren

Konfiguratoren können an verschiedenen Stellen im Unternehmen einen Mehrwert bieten – sei es im Engineering zur Unterstützung der Konstruktion, im Vertrieb zur schnellen Angebotserstellung oder direkt beim Kunden zur Auswahl passender Produktvarianten. Damit diese Systeme zuverlässig funktionieren, müssen im Vorfeld klare Konfigurationsregeln definiert werden, die auf den jeweiligen Anwendungsfall abgestimmt sind. 

Die Basis dafür ist eine saubere Systematik: Was gehört zum Standard, und was gilt als Sonderausführung? Diese Unterscheidung ist entscheidend, um eine belastbare Konfigurationslogik aufzubauen. Dabei geht es nicht nur darum, Varianten korrekt abzubilden, sondern auch darum, technische Machbarkeit, wirtschaftliche Effizienz und Unternehmensstandards miteinander in Einklang zu bringen. 

In den Konfigurationsregeln kann zudem festgelegt werden, dass bestimmte Standards verpflichtend einzuhalten sind, etwa um Qualität zu sichern, Entwicklungsaufwände zu reduzieren oder Kompatibilität im Baukastensystem zu gewährleisten. Ein einfaches Beispiel verdeutlicht das Prinzip: Wird ein Schrank in 90 cm Breite konfiguriert, darf keine Schublade mit mehr als 90 cm Breite vorgesehen werden. Solche Regeln verhindern ungültige Kombinationen und sorgen dafür, dass die Konfiguration technisch korrekt und wirtschaftlich sinnvoll bleibt. 

Grundsätzlich gilt: Alles was mit Regeln definierbar ist, sollte auch definiert werden, um die Erkenntnisse und Entscheidungen aus den ersten drei Schritten hier sinnvoll umzusetzen.

Fazit: Standardisierung mit Augenmaß – Spielräume gezielt nutzen 

Ein zentraler Leitsatz für die Arbeit mit Produktbaukästen lautet: Komponenten standardisieren, Gesamtanlagen individualisieren. Ziel ist es, die Wiederverwendung standardisierter Module zu maximieren und Sonderelemente nur dort einzusetzen, wo sie technisch notwendig oder möglich und abhängig von Kundenanforderungen wirtschaftlich sind. Diese späte Varianz sichert Effizienz in Entwicklung und Fertigung, ohne auf kundenspezifische Anforderungen zu verzichten. 

Dabei stehen immer die Anforderungen von Markt und Kunden im Mittelpunkt. Die gewünschten Funktionen werden durch physische Komponenten erfüllt, die – gesteuert durch Konfiguratoren – gezielt ausgewählt und kombiniert werden. Entscheidend ist, dass diese Komponenten über standardisierte Schnittstellen miteinander kompatibel sind. So entsteht ein flexibles, aber strukturiertes System, in dem individuelle Lösungen aus einem stabilen Baukasten heraus entstehen und sich der Kreis zum gesamten Produktportfolio schließt. Wichtig: Ein Baukastensystem muss nicht das gesamte Portfolio auf einmal erfassen, sondern lässt sich schrittweise und skalierbar aufbauen. Wer diesen Weg strukturiert angeht, profitiert frühzeitig von ersten Effekten. Es kann durchaus sinnvoll sein, dabei auf erfahrene Begleitung zurückgreifen.

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